Mehr Tempo im Kampf gegen Killer-Keime



Die Welt

Bei Infektionen mit hochresistenten Klinik-Keimen entscheidet eine schnelle Behandlung über Leben und Tod. Doch um den Keimtyp zu bestimmen, vergeht viel Zeit. Eine neue DNA-Analyse soll Abhilfe schaffen.

Eine Plastikkartusche, so groß wie eine Zigarrenkiste, soll den Kampf gegen antibiotikaresistente Klinikkeime beschleunigen. Die Boxen kommen in ein Analysegerät, darin wird die DNA der Erreger kopiert, vervielfacht und dann der Keimtyp und seine Widerstandsfähigkeit gegen Medikamente bestimmt.

"Das System ist so einfach, dass eine Krankenhausschwester es auch nachts um drei benutzen kann", sagt Oliver Schacht, Geschäftsführer der Curetis AG in Holzgerlingen (Kreis Böblingen). Der entscheidende Vorteil der Entwicklung sei aber die Zeit: Das Minilabor braucht für die Analyse gut vier Stunden.

Mit der üblichen Methode – Nährboden, Petrischale, Wachsenlassen, Begutachten – dauert das bis zu drei Tage. "Das ist für Krankenhäuser unpraktisch. Ärzte müssen oft schnell wissen, ob ein Patient mit hochresistenten Bakterien besiedelt ist", sagt Professor Udo Reischl vom Institut für Mikrobiologie und Hygiene amUniklinikum Regensburg.

Experten schätzen die Infektionsfälle in deutschen Krankenhäusern auf eine sechsstellige Zahl pro Jahr. Je nach Angaben ist von bis zu 40.000 Todesfällen die Rede. Das Bundesgesundheitsministerium nennt 7500 bis 15.000.

Widerstandsfähige Erreger verbreiten sich immer mehr


Neue Einwegkartusche zur schnelleren und effizienteren Gefahrenanalyse von Keimen
Foto: pa
Neue Einwegkartusche zur schnelleren und effizienteren Gefahrenanalyse von Keimen
MRSA
Woher kommt der Name?
Wodurch verbreitet er sich?
Wer muss aufpassen?
Wie viele sind betroffen?
Durch den Einsatz unspezifischer Breitbrandantibiotika verbreiten sich die widerstandsfähigen Erreger immer mehr. "Evolution im Schnelldurchlauf", nennt Schacht das. Das Kartuschensystem soll es Medizinern auch ermöglichen, Arzneimittel präziser einzusetzen.

Die Nachweisverfahren über Nukleinsäure sind nach Reischls Angaben auf dem Vormarsch, seit knapp zehn Jahren gebe es automatisierte Geräte. "Die Patentlage lässt nicht zu, dass jeder mitspielen kann", sagt er. Das gewährleiste aber zuverlässige Befunde.

Mit führend auf dem Gebiet ist nach seiner Einschätzung die Firma Cepheid mit Deutschlandsitz in Frankfurt am Main. Angefangen haben die Diagnostiker laut Geschäftsführer Daniel Hefel, weil die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2006 eine leicht anwendbare, schnelle Methode im Kampf für eine tuberkulosefreie Welt suchte.

Mit dem entwickelten Kartuschensystem bieten sie inzwischen 16 Tests an, etwa auf multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) oder – jüngst auf den Markt gebracht – Noroviren. "Bis 2018 sollen 37 Tests zugelassen sein", kündigt Hefel an – darunter dann auf HI-, Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Viren und zahlreiche onkologische Spezialtests.

So einfach zu bedienen wie eine Espressomaschine

Die Marktteilnehmer hätten Cepheid anfangs nicht so ernst genommen, weshalb sich die Firma weltweit etablieren konnte. Produziert werden neben den Kartuschen inklusive der benötigten Chemikalien auch die Analysegeräte selbst – im Silicon Valley und in Stockholm.

Im Fokus war auch hier die einfache Handhabung, wie Hefel verdeutlicht: "Das ist wie bei einer Espressomaschine: Tab rein, draufdrücken und warten." 30 Minuten bis anderthalb Stunden brauche ein Test.

Nur zu komplex dürften die Anwendungen nicht werden. Da mal Blut-, mal Speichel-, mal Stuhlproben analysiert werden müssten, sei eine Multifunktionskartusche schon praktisch unmöglich.

Und mit einer Kartusche zu viele Erreger finden zu wollen, verschlechtere ab einer bestimmten Menge an "Targets" (Ziele) nur die Ergebnisse, warnt Hefel. "Je mehr Targets, desto höher ist das Risiko an falsch positiven/negativen Ergebnissen. Da kann ich dann auch würfeln."

Weitere Kartuschen zur Diagnose in Planung

Die Curetis AG hat sich vor sieben Jahren aus dem Phillips-Konzern abgespalten und mit inzwischen rund 50 Mitarbeitern auf schwere Infektionskrankheiten spezialisiert. Seit 2012 sind Kartuschen zur Diagnose von Lungenentzündungen auf dem Markt, seit Kurzem für Implantat- und Gewebe-Infektionen. In Planung sind Schacht zufolge welche für schwere Magen-Darm-Infektionen und Blutvergiftungen.

Einige Krankenhäuser testen das System den Angaben nach schon. Die Geräte im Wert von 50.000 bis 55.000 Euro bekommen sie laut Schacht gestellt, die Einwegkartuschen kosten 192 bis 262 Euro. Pro Intensivstation liege der Bedarf bei etwa 200 Tests im Jahr.

Laut Reischl gibt es auch deutlich günstigere DNA-Analysen. Allerdings sei eine herkömmliche Kultur mit etwa zehn Euro immer noch deutlich billiger. "Und Krankenkassen wollen neue Technologie nur einführen, wenn sie kostenneutral ist", sagt er.

Offen sei oft auch die Frage der Wartung der Geräte. Hingegen rechnet Curetis-Manager Schacht vor, dass ein Tag auf der Intensivstation schnell mal 2000 bis 2500 Euro kosten könnte. Mit zügigeren und gezielteren Behandlungen lasse sich also auch Geld sparen.

Der reine Nachweis sagt oft wenig

"Jede Stunde, die ich früher behandeln kann, verkürzt Liegezeit", bestätigt Peter Walger von der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene.

Allerdings sieht er in dem Markt der schnellen Diagnostik auch eine Gefahr: "Das klingt verlockend, aber die medizinische Realität ist komplex. Mal eben am Bett eine Probe zu nehmen und zu entscheiden, ist davon weit entfernt."

Ein einfaches Ja oder Nein gebe es nicht, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. "Das muss eingebettet werden in den Dialog zwischen mikrobiologischem Labor, Anbieter und Klinika", sagt er. "Der reine Nachweis sagt oft wenig."

Etwa 90 Prozent der Krankenhausinfektionen rühren von Keimen her, die mit einem Antibiotikum wirksam bekämpft werden können. Problematischer sind Erreger, die Resistenzen entwickelt haben.

Antibiotika in der Tiermast verschärft das Problem

Das geschieht vermutlich unter anderem, weil Antibiotika in der Tiermast, aber auch bei Menschen zu häufig und nicht zielgenau verabreicht werden. Dadurch werden Antibiotika-empfindliche Bakterien abgetötet, während die widerstandsfähigen sich umso konkurrenzloser vermehren.

Etwa drei bis fünf Prozent der Krankenhauserreger sind Stämme des auf Haut und Schleimhaut lebenden multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA), gegen die es noch vier bis fünf wirksame Antibiotika gibt.

Andere, im Darm lebende Bakterien (ESBL) hingegen produzieren bestimmte Enzyme, die sie gegen die meisten Antibiotika-Klassen resistent machen.

Besonders schwierig sind Infektionen mit KPC (Carbapenemase bildende Bakterien der Art Klebsiella pneumoniae) zu behandeln, weil hier auch Carbapeneme als letzte neue Wirksubstanzen versagen und die Ärzte auf ein veraltetes Antibiotikum ausweichen müssen. Die Entwicklung neuer Antibiotika hinkt hinterher.

0 comentarios :

Publicar un comentario