Gegen Zähneknirschen hilft Yoga – oder Botox



Die Welt

Viele Menschen pressen oft ihre Kiefer aufeinander. Bis zu 400 Kilo starker Druck verschleißt dann die Zähne. Kauschienen und Yoga sollen helfen – oder Botox. Die Ursache liegt meist ganz woanders.



Vielleicht hätten die Experten einfach auf die Alltagssprache hören sollen, um der Ursache des Problems auf die Spur zu kommen. Auf Redewendungen wie diese: "Zähne zusammenbeißen und durch". Man zeigt einem Gegner die Zähne, beißt sich durch, beißt auf Granit und am Ende sogar ins Gras. Wenn die Lage kompliziert wird, der Druck steigt, man aber nichts dagegen tun kann, dann bleibt nur, das Unheil zähneknirschend hinzunehmen.
Tatsächlich knirschen die Zähne bei vielen Menschen, vor allem nachts. Die Zähne verschleißen dabei, das Kiefergelenk wird übermäßig belastet, die Muskeln bis hinunter zum Nacken verkrampfen. Acht Prozent der Erwachsenen in Deutschland beißen sich durch ihre Nächte, so die aktuellsten Zahlen zahnärztlicher Experten. Erst wenn die Deutschen älter als 65 sind, halten die meisten ihre Zähne nachts wieder still, nur noch drei Prozent der Älteren knirschen.
Aber warum reiben so viele Menschen ihre Zähne aufeinander, bis diese Schaden nehmen? Lange nahmen Zahnärzte an, dass die Ursache in der Anatomie zu suchen ist. In einer sogenannten okklusiven Funktionsstörung. Wenn also bei einem Patienten der Ober- und der Unterkiefer nicht richtig schließen. Okklusion wird die Stellung der Zähne genannt, wenn diese beim Schließen der Kiefer genau übereinanderliegen. Wer das nicht hinbekommt, der presst, mahlt und reibt mit den Zähnen, um den Fehler auszugleichen.
Ursache: Stress und Ärger

Doch die Zähne knirschen auch, wenn die Lage kompliziert wird. Nicht falsch stehende Kiefer sind dann schuld, sondern Stress und Ärger. Kein Wunder, dass die Knirscherquote mit dem Rentenalter nachlässt.
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In der Fachsprache der Zahnärzte werden die unwillkürlichen Press- und Knirschbewegungen als "Bruxismus" bezeichnet. Der griechisch-lateinische Begriff bedeutet auch nur: Zähneknirschen. Hört sich aber gefährlicher an.
Frauen knirschen doppelt so häufig wie Männer. Manche Menschen knirschen tagsüber, wenn sie unter Stress geraten, besonders heftig mahlen die Gebisse der meisten Knirscher allerdings im Schlaf. Manchmal sind sie dabei so laut, dass man weitere Betroffene zählen muss – die Partner in den Ehebetten.
In zahlreichen Untersuchungen konnte inzwischen nachgewiesen werden, dass Knirscher im Vergleich zu Kontrollgruppen stärkeren Alltagsbelastungen ausgesetzt sind. So ergab eine Befragung von 13.057 Menschen in England, Deutschland und Italien einen signifikanten Zusammenhang zwischen kritischen Lebensereignissen und nächtlichem Zähneknirschen. 69 Prozent der Befragten brachten ihr Knirschen mit Stress oder Angstzuständen in Verbindung.
Andere Risikofaktoren

Ähnliches ermittelte eine Gruppe von Forschern an der Universitätszahnklinik Helsinki, die 1784 Angestellte des finnischen Rundfunks untersuchte. Die Knirscher berichteten über mehr Stress als ihre nicht knirschenden Kollegen. "Bruxismus kann als ein Indikator für Dauerstress im alltäglichen Berufsleben angesehen werden", folgerten die Forscher. Aber auch Ärger in der Familie, Prüfungsstress oder finanzielle Probleme können Menschen die Zähne aufeinanderreiben lassen.
Als weitere Risikofaktoren gelten Schlafstörungen, Schnarchen, Alkohol, Rauchen und die Einnahme bestimmter Medikamente. Warum das so ist, ist nicht abschließend geklärt.
Eigentlich müssten Knirscher im Schlaflabor untersucht werden, um die Rastlosigkeit ihrer Gebisse mithilfe einer sogenannten Polysomnografie genauer erforschen zu lassen. Bei dieser Untersuchung werden verschiedenste Körperfunktionen während des Schlafs überwacht. Die Methode ist allerdings technisch aufwendig und teuer.
Hinweis spätestens vom Zahnarzt

Wer tagsüber nicht knirscht oder keinen Partner hat, der von den Zahngeräuschen wach wird, erfährt meist erst bei einem Zahnarztbesuch vom Druck zwischen seinen Kiefern. Nämlich dann, wenn der Arzt die ersten Abnutzungsspuren auf den Zähnen entdeckt.
Beim Knirschen wirken Kräfte von 300 bis 400 Kilogramm pro Quadratzentimeter auf die Zähne ein. "Beim Bruxismus wird die acht- bis zehnfache Kraft ausgeübt, wie normalerweise erforderlich ist, um die Nahrung zu zerkleinern", sagt die Wissenschaftlerin Anne Wolowski von der Universitätszahnklinik in Münster. Derartige Belastungen können die Zähne, den Zahnhalteapparat und die beteiligten knöchernen Strukturen wie beispielsweise die Kiefergelenke dauerhaft schädigen.
Knirschen und Pressen schädigen die harten Zahnsubstanzen und führen zu ihrem vorzeitigen und irreparablen Verschleiß. Die Lage des Unterkiefers zum Oberkiefer kann sich verändern, was eine Fehlbelastung der Zähne zur Folge hat. Es kann zu Rissen oder Sprüngen im Zahnschmelz und Wurzelirritationen kommen. Oder aber die Durchblutung des Zahnfleischs wird durch den Druck beim Knirschen schlechter, Zahnlockerung bis hin zum Zahnverlust können die Folgen sein.
Kaumuskeln und Kiefergelenke leiden

Aber auch die Kaumuskeln und Kiefergelenke leiden unter dem Druck, der beim Knirschen entsteht. Das führt zu Kopfschmerzen in den Schläfen, die Muskeln rund um Mund, Hals und Nacken verspannen, sogar die Ohren und das Gehör können wehtun.
Wer Ohrenschmerzen oder einen steifen Nacken hat, sollte also vielleicht auch einmal den Zahnarzt zurate ziehen. Wenn es wirklich am Knirschen liegt, wird der in den meisten Fällen versuchen, die Überlastung der Zähne, Muskeln und Gelenke zu verhindern mithilfe von Kunststoffschienen, die das Gebiss schützen und Unregelmäßigkeiten ausgleichen sollen. Sie werden genau an die Stellung der Zähne angepasst und sollen mindestens nachts getragen werden. Die Effektivität der Behandlung mit den Schienen ist wissenschaftlich allerdings bisher nicht bewiesen.
Um die durch das Mahlen der Zähne verhärtete Muskulatur zu entspannen, bieten einige Zahnärzte neuerdings Behandlungen mit Botox an, obwohl das Medikament für diese Indikation bisher nicht vorgesehen ist. Die ersten Ergebnisse sollen aber vielversprechend sein. Das Gift wird ein- bis zweimal im Jahr in die Kaumuskeln gespritzt. Die Kosten, zwischen 400 und 600 Euro pro Behandlung, werden von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen.
Zähne auseinander und durch

Statt mit Gift die Folgen zu bekämpfen, kann man natürlich auch beim Zähneknirschen die Ursachen angehen. Den Job wechseln, Familienprobleme besprechen, versuchen, die innere Anspannung mit Yoga, autogenem Training, Muskelentspannung nach Jacobson oder einer Verhaltenstherapie zu lindern.
An der Zahnklinik der Universität Münster gibt es eine Sprechstunde für Leute mit Kiefer-Gesichts-Beschwerden. "Wir versuchen mit der Biofeedback-Methode zu helfen", sagt Anne Wolowski. Bei diesem Verfahren können die Patienten unmittelbar am Bildschirm beobachten, wie stark sie ihre Kaumuskeln beanspruchen. Mithilfe der Bilder können sie eine entspanntere Haltung einüben. Später sollen sie dann auch ohne Kontrollbild in der Lage sein, ihre Kieferbewegungen besser zu kontrollieren – selbst wenn das Leben kompliziert wird. Man könnte auch einfach sagen: Zähne auseinander und durch.

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