„Die IQWiG-Stellungnahme zur therapeutischen Arthroskopie überrascht sehr!“


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Köln – Keine Nutzenbelege der therapeutischen Arthroskopie zur Therapie der Gonarthrose sieht das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) laut seinem Mitte Mai erschienenen Abschlussbericht zum Thema. Das Deutsche Ärzteblatt wollte von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) wissen, wie sie den IQWiG-Bericht beurteilt. Die DKG ist eine Sektion der DGOU.

5 Fragen an Hermann Mayr, Präsident der Deutschen Kniegesellschaft (Sektion der DGOU)
DÄ: Überrascht Sie die IQWiG-Stellungnahme?
Mayr: Die IQWiG-Stellungnahme überrascht sehr, da in dieser Stellungnahme die Beurteilungen der fachlich kompetenten Sektionen der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie nicht berücksichtigt sind.
DÄ: Wie beurteilen Sie die Bewertung des IQWiG? Ist die IQWiG-Untersuchung relevant für die Praxis? Oder fehlen einfach genügend gute Studien?
Mayr: Die Bewertung des IQWiG wird negative Auswirkungen auf eine differenzierte Indikationsstellung und arthroskopische Therapie bei Arthrose haben.
In der Stellungnahme des IQWiG fehlt die Berücksichtigung verzerrender Faktoren. Das Ergebnis einer therapeutischen Arthroskopie wird durch multiple Einflussfaktoren beeinflusst, einschließlich Symptomdauer, Symptomart, Achsfehlstellung, Spongiosa­ödem, Bewegungsumfang, Body-mass-Index und Ausmaß und Aktivierung der Arthrose. Um den Anforderungen einer personalisierten Medizin Rechnung tragen zu können, dürfen nach Ansicht der Deutschen Kniegesellschaft nicht nur sogenannte Level-I-Studien berücksichtigt werden, da diese häufig nur eine globale Aussage erlauben.
Ein prospektiv randomisiertes Studiendesign wird auch von etablierten Gruppen zur Beantwortung der Effektivität der Arthroskopie bei Gonarthrose kritisch gesehen. Studien mit niedrigerem Evidenzgrad, welche einzelne Aspekte der Fragestellung aufarbeiten, sollten ebenfalls berücksichtigt werden. Diese sind zwar nicht dazu geeignet eine Über- oder Unterlegenheit zu einer anderen Therapie zu demonstrieren, wohl aber die Effektivität einer Einzeltherapie.
DÄ: Sehen Sie weiterhin Indikationen für eine therapeutische Arthroskopie in besonderen Fällen?
Mayr: Es ist von Bedeutung, den Begriff der therapeutischen Arthroskopie eindeutig zu definieren. Eine alleinige arthroskopische Lavage oder ein sogenanntes Débridement führt allenfalls kurzfristig zu einer Linderung. Mechanische Probleme werden hierdurch jedoch nicht behandelt. Aus Sicht der Deutschen Kniegesellschaft muss bei der Indikationsstellung zur Arthroskopie bei Gonarthrose grundsätzlich berücksichtigt werden, ob arthroskopisch adressierbare Pathologien vorliegen, welche mit dem Beschwerdebild des Patienten in plausiblem Zusammenhang stehen.

Beispiele für solche Pathologien sind zum Beispiel freie Gelenkkörper, die zu Blockaden des Gelenks führen, aber auch herausgebrochene Knorpelanteile, die akute Beschwerden zur Folge haben. Solche Beschwerdebilder können nachweislich effizient mit einer thera­peutischen Arthroskopie behandelt werden. Auch eindeutige instabile Risse der Menisken können bei Arthrose des Gelenks sinnvoll behandelt werden [1]. Die alleinige Diagnose einer Gonar­throse stellt per se keine Indikation zur therapeutischen Arthroskopie dar [2,3]. Bei erheblich fortgeschrittenen Arthrosen besteht in der Regel keine Indikation zur Arthroskopie.
DÄ: Auf welche Behandlungen setzen Orthopäden bei Kniegelenksarthrose vor allem?
Mayr: Vor der Indikationsstellung zur Arthroskopie bei Gonarthrose sind die Erfolgsaussichten der konservativen Therapie zu evaluieren und mit dem Patienten zu besprechen. Wesentliche konservative Therapiemöglichkeiten sind unter anderem:
  • Physiotherapie
  • orthetische Versorgung
  • gegebenenfalls Schuhversorgung mit Einfluss auf Statik und Dämpfung
  • gegebenenfalls Gewichtsreduktion
  • Chondroprotektiva
Aus Sicht der Deutschen Kniegesellschaft (DKG) ist die Arthroskopie nützlich zur Behandlung folgender Subpathologien bei moderater Gonarthrose im Stadium I - II nach Kellgren-Lawrence:
  • Entfernung von mechanisch relevanten Osteophyten
  • Entfernung von Meniskuslappen mit mechanischer Symptomatik
  • Entfernung von herausgebrochenen und instabilen Knorpelfragmenten
  • Entfernung mechanisch relevanter Briden
  • Entfernung von freien Körpern
  • Synovektomie, zum Beispiel Kristallarthropathien, rheumatoide Arthritis, Chondromatose
Die Arthroskopie ist nutzlos bei Gonarthrose ≥ III nach Kellgren-Lawrence. Vorsicht ist geboten bei bei Chondrocalcinose, bei arthrosebedingten Spongiosaödemen und Achsabweichung des Beines.
DÄ: Auf welche künftigen Behandlungsoptionen setzen Sie besonders?
Mayr: Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir in Zukunft erfolgversprechende regenerative Therapien auf minimalinvasivem, arthroskopischem oder konservativem Weg anbieten können, welche die Behandlungserfolge verbessern.
Derzeit müssen wir uns bewusst sein, dass die Arthrose eine chronisch progrediente Erkrankung ist.

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