Silikon-Technik ermöglicht Revolution im OP-Saal


Die Welt

Die meisten medizinischen Instrumente sind aus Metall – ein Risiko für Verletzungen. Da will die weiche Robotik helfen. Selbst Herzschrittmacher und OP-Roboter sollen künftig aus Silikon sein.

Öffnen, schließen, ein Wasserglas greifen – eine kaum zu meisternde Herausforderung für viele Patienten, deren Hand nach einem Schlaganfall zum Teil gelähmt ist. Nicht so am Biodesign-Labor der US-amerikanischen Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts): Hier umgreift eine Roboterhand die Patientenhand und hilft millimetergenau bei jeder Bewegung. Was Patienten sonst über Wochen mehrere Stunden am Tag unter Anleitung eines Therapeuten in einer Reha-Klinik mühsam wieder lernen müssen, macht nun der Roboterhandschuh.
In Zukunft soll Patienten so zu Hause geholfen werden. Ganz einfach, effektiv – und billig. Noch allerdings bewegt der Prototyp der Reha-Hand nur im Labor die Finger gesunder Probanden. Doch Conor Walsh, der die Roboterhand am Wyss Institute of Biological Inspired Engineering und an der Harvard School of Engineering entwickelt hat, rechnet damit, dass sie in drei bis fünf Jahren marktreif sein könnte.
Damit wäre sie ein erstes Vorzeigeprodukt aus dem noch jungen, aber vielversprechenden Forschungszweig der Soft Robotics, der weichen Robotik. Denn die Robo-Hand ist nicht etwa aus hartem Metall gefertigt, sie besteht aus weichem Silikon. Es gibt keine elektrischen Kabel, keinen wuchtigen Motor und keine steifen Gelenke.
Nicht mit harter Hand

"Eine traditionelle Roboterhand wäre sehr schwer, hart und kompliziert", sagt Walsh. "Die metallenen Gelenke müssten genau an die des Patienten angepasst werden, während sich unsere Roboterfinger einfach anschmiegen." Denn sie bestehen aus hohlen, elastischen Silikonröhren, die durch eine Flüssigkeit, die in sie hineingepumpt wird, bewegt werden.

Die „Roboterhand“ kann ein Ei ansteuern, es greifen und bruchsicher anheben. Forscher um George Whitesides hatten ihr erstes derartiges Gerät im Jahr 2011 vorgestellt
Foto: Wiley-VCH
Die "Roboterhand" kann ein Ei ansteuern, es greifen und bruchsicher anheben. Forscher um George Whitesides hatten ihr erstes derartiges Gerät im Jahr 2011 vorgestellt
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Der Trick: Die Beschaffenheit des Silikons variiert, sodass das Zusammenspiel von Druck und Material feinste, gezielte Bewegungen steuern kann. Ganz ohne Motor und Elektronik kommt das weiche Gerät zwar nicht aus, aber Pumpe und Batterie sowie das Programm, das das System steuert, sind vergleichsweise einfach und klein und auf dem Handschuh angebracht.
Inspiriert wurde Walshs Arbeit von dem Chemiker George Whitesides, einem Vorreiter der Soft Robotics, der nur ein paar Türen weiter an der Harvard-Universität forscht. "Wir versuchen, die Bewegungen von weichen Tieren wie Seesternen und Tintenfischen zu imitieren und für uns zu nutzen", erläutert Whitesides. 2011 stellte er einen der ersten weichen Roboter weltweit vor, ein handtellergroßes X-förmiges Gebilde aus Silikon, das wie ein Seestern vorankriechen konnte, bewegt in diesem Fall nicht durch Flüssigkeit, sondern durch Luft, die in kleinste, strategisch angeordnete Luftkammern gepumpt wurde. Eine kleine Sensation, denn die gummiartige Maschine konnte sich nicht nur gezielt bewegen, sondern auch in kleinste Räume zwängen oder ein rohes Ei halten, ohne es zu zerbrechen.
Harte Maschinen, weiches Gewebe

Damals hatte Whitesides die zündende Idee. Wäre es nicht genial, dachte er, derartige Roboter in der Medizin einzusetzen? "Wann immer harte Maschinen in Kontakt mit weichem Gewebe kommen, gibt es schließlich ein Risiko für Verletzungen", sagt Whitesides. Man denke etwa an die Retraktoren aus Metall, die bei Operationen am offenen Herz verwendet werden, um den Brustkorb auseinanderzuhalten, an harte Prothesen an Arm- und Beinstümpfen oder gar an Operationsroboter, die, von Chirurgen gesteuert, an Metallarmen befestigte Skalpelle an die richtige Stelle im Körper bewegen.
Auch bei der Darpa, der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums, glaubt man, dass die Technologie Zukunftspotenzial hat. Innerhalb ihrer 2011 begonnenen Maximum Mobility and Manipulation Programms fördert Darpa auch die Entwicklung der weichen Roboter. Dabei interessiert sich die Agentur zwar vor allem für neue Kampfmaschinen, gleichzeitig sollen aber auch Anwendungen der weichen Geräte bei der Versorgung von Verwundeten sowie als Prothesen erkundet werden.
Walshs Roboterhand etwa könnte eines Tages auch Soldaten bei der Therapie unterstützen oder gar zu einer weichen Prothese weiterentwickelt werden. US-weit fördert die Darpa daher mehrere Arbeitsgruppen auf dem Gebiet, darunter auch Projekte von George Whitesides' Team.
Start-up kümmert sich um Kommerzialisierung

Tatsächlich halten die Forscher um Whitesides heute, nur drei Jahre nachdem sie ihren ersten weichen Roboter vorgestellt haben, gut ein Dutzend Patente auf die weiche Medizintechnik. Ende vergangenen Jahres gründete Whitesides in Boston das Start-up Soft Robotics Inc. aus der Universität aus, das die Erfindungen kommerzialisieren soll. Das Unternehmen beschäftigt derzeit sechs Mitarbeiter und hat noch einmal ein weiteres Dutzend Patente auf die Weiterentwicklung der Technologien angemeldet. "Wir glauben, dass wir schon in zwei Jahren ein erstes Produkt auf den Markt bringen können", gibt sich CEO Carl Vause optimistisch.
Erste Einsatzbereiche sieht Vause in der traditionellen und minimalinvasiven Chirurgie. "So merkwürdig sich das anhört, aber die weiche Robotik kann zunächst vor allem nicht robotische Instrumente besser, sicherer und billiger machen", sagt Vause. So entwickelt sein Start-up weiche, bewegliche Geräte, die Wunden offen halten, Organe zur Seite schieben oder Gewebe greifen können. Ebenso arbeiten die Forscher von Soft Robotics Inc. im Auftrag der Darpa an besonderen Verbandsmaterialien oder vielmehr an Verbandsmaschinchen, die Druck ausüben und so Wunden von verletzten Soldaten vor Ort stabilisieren können sollen.
Die neue Technik hat viele Vorteile. Nicht nur Verletzungen durch harte Kanten werden so vermieden, wie Whitesides' seesternartige Maschine, die ein Ei halten konnte, verdeutlicht: "Bei herkömmlichen Instrumenten braucht man komplizierte Rückkopplungsmechanismen, damit sie nicht zu viel Druck ausüben und das Gewebe zerdrücken", erläutert Whitesides. Die weichen Roboter dagegen werden selbst durch Druck betrieben – sie können per se gar nicht mehr ausüben, als eine definiert in das System eingegebene Menge.
Billiges Silikon macht Geräte preiswert

Und dann ist da noch der Preis: Die weichen Roboter bestehen aus vergleichsweise billigem Silikon. Die Materialkosten für ein kleineres Gerät werden sich somit auf nicht viel mehr als 20 Dollar belaufen. Zudem können die flexiblen Maschinen einfach in Plastikformen gegossen oder mit 3-D-Druckern fabriziert werden. Das mache auch die Herstellung so einfach und kostengünstig, sagt CEO Carl Vause. Die weichen chirurgischen Instrumente könnten nach einmaliger Benutzung weggeworfen werden. Eine aufwändige Desinfizierung vor der nächsten Operation entfällt. Außerdem sei das Entwickeln und Testen von neuen Prototypen durch den einfachen und billigen Produktionsprozess ebenfalls denkbar simpel.
Neben den geradezu bodenständigen Produkten haben die Forscher auch ehrgeizige Zukunftsvisionen. "Wir glauben, dass die weiche Robotik mittelfristig auch in der roboterassistierten Chirurgie eingesetzt werden kann", sagt Vause. Denn die weichen Instrumente haben einen weiteren Vorteil: Sie können sich durch kleinste Öffnungen, etwa kleine Einschnitte, quetschen und dann wieder größer werden.
Das könnten sich OP-Roboter zunutze machen. Als Beispiel nennt Vause den Da-Vinci-OP-Assistenten des US-Herstellers Intuitive Surgery. Dabei steuert der Chirurg bei minimalinvasiven Operationen von einer Computerkonsole aus Roboterarme im Körper, an denen Skalpell und Kamera befestigt sind.
Bislang 60 Geräte in Deutschland

Das wäre ein großer Wurf: Da Vinci wird zunehmend in US-amerikanischen, aber auch in deutschen Operationssälen eingesetzt. Weltweit wurden nach Angaben von Intuitive Surgery seit seiner Einführung 1999 1,5 Millionen Operationen damit durchgeführt, vor allem Entfernungen der Prostata und Gebärmutter. Auch in deutschen Kliniken stehen mittlerweile gut 60 der etwa 1,5 Millionen Euro teuren Geräte.
Einer aktuellen US-Studie zufolge nimmt mit Da Vinci die Komplikationsrate allerdings nicht ab – die Kosten jedoch erheblich zu. Die weiche Robotik kombiniert mit dem OP-Roboter, so glaubt Carl Vause, könnte diese Probleme wie Verletzungen an Blutgefäßen und Organen vermeiden – zu deutlich niedrigerem Preis.
Auch Conor Walsh treibt an der Universität Visionen voran. Der Erfinder der Reha-Hand arbeitet mit Ärzten zusammen, um zu ermitteln, wo Bedarf für die neue Technik besteht. Mit dem Herzspezialisten Frank Pigula vom Bostoner Children's Hospital entwickelt Walsh einen Herzschrittmacher aus elastischen Polymeren, der sich wie ein Umschlag schonend um die untere Hälfte des Herzens legt. Dieser künstliche Herzmuskel soll das Herz sanft und im richtigen Rhythmus zusammendrücken und ihm so helfen, das Blut zu pumpen. "Die eigentliche Herausforderung der weichen Robotik ist, die Silikonröhrchen so anzuordnen, dass sie die gewünschte Bewegung erzeugen", sagt Walsh.
Revolution im OP-Saal möglich

Tatsächlich ist es den Forschern um Walsh gerade gelungen, die komplizierten Kontraktionen des Herzmuskels, die schraubenden und sich gegeneinander verdrehenden Bewegungen der Muskelfasern mit dem gummiartigen Material nachzuahmen, wie sie im Februar in der Fachzeitschrift "Advanced Materials" berichteten.
Walsh und Pigula haben das Gerät schon an Schweinen erprobt. Nun rechnen sie damit, in drei bis fünf Jahren die Genehmigung für erste klinische Versuche am Menschen zu erhalten. In Zukunft könnte es bei Patienten eingesetzt werden, deren Herz nach einem Schlaganfall nicht mehr richtig pumpt. Insbesondere, so Walsh, könnte es zunächst spezielle Herzpumpen ersetzen, die sogenannten Ventricular Assist Devices.
Diese halten heute schwer herzkranke Patienten zwar am Leben, doch dazu muss die Pumpe aus Stahl implantiert werden. Blutgerinnsel und Infektionen können auftreten. Der weiche Herzschrittmacher könnte diese Risiken deutlich senken. Noch ist er allerdings genauso wie der OP-Roboter Zukunftsmusik. Eines Tages könnten die weichen Maschinen aber den Operationssaal revolutionieren.

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